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Selbstkritik sieht anders aus. Aber vielleicht liegt es ja tatsächlich nur an den abgehobenen Ansprüchen.
Schaun mer mal, wie die üblichen Verdächtigen sich so schlagen...
IV. Der Peppige
Das Topaz gehört zu den Dauerläufern in Sachen gehobener Küche an der Weser. Auch an wechselnden Standorten ist seit geschätzt 30 Jahren eines immer klar gewesen: Das (aktuell über zwei Ebenen verteilte) Bistro könnte ohne Weiteres auch in Paris zu finden sein. Das Interieur mit Fliesenboden und Metalltheke, die Ausstattung, vieles von den Speise- und Weinkarten, die Kundschaft von den Geschäftsleuten am Mittag bis zu den Paaren und gesetzten Männer-Runden am Abend, das quirlige Stimmengewirr und selbst die ehemalige Inhaberin nebst ihrem langjährigem Oberkellner lassen die Herzen frankophiler Genussfreunde höher schlagen. Wirtschaftlich war das alles wohl zunehmend schwieriger geworden, denn nach dem Verkauf wurde von den Neu-Inhabern ein bewusstes down-grading (Buh!) umgesetzt, einschließlich eines (relativ) günstigen Mittagstisches und einer sehr zu bedauernden Kürzung der ehedem formidablen Auswahl französischer Weine. Die im Internet einsehbare Karte sei „mindestens drei Jahre alt“, wie mir der Kellner schnippisch mitteilte, als ich daraus eine gute Flasche geordert hatte.
An der Empfehlung des Guide Michelin hat das Auf und Ab nichts geändert und dem Gault Millau sind die Leistungen noch 13 Punkte wert.
Das ist sicher nicht zu hoch gegriffen, denn bei meinem Besuch hatte die Küche unter einem recht neuen Chef den turn-around zu kreativen, aber noch alltagstauglichen Gerichten geschafft.
Als Aperitif kam ein klassischer Vermouth di Torino von Drapó. (4,9€ - Wer sagt, dass ein Downgrade nur Nachteile hat?) Auch ohne Zitronenschale o.ä. sehr gut. Die vorhandenen Alternativen (z. B. Belsazar feat. Dr. Loosen) wurden gar nicht erst vorgestellt. Ich hatte ja nicht gefragt. Da ich mal einen anderen Sauvignon als die angepriesenen und auch zum Probieren angebotenen Bukett-Bomben von Oliver Zeter trinken wollte, einigten wir uns nach der gewohnt guten und gewohnt blasierten Weinberatung auf einen jungen Sancerre von alten Reben
Der 2016er aus dem Hause Vincent Gaudry wird von Herrn Lobenberg im Netz zu 21,5€ verkauft. Da kann man gegen die aufgerufenen 38,8€ im Hause Topaz aber gar nichts sagen (Downgrade? Bin großer Fan!)
Bei der Tischwahl wollte ich mich partout nicht zwischen die vielen fröhlich besetzten Hochtische im zugegeben schönen Erdgeschoss zwängen. Zur konzentrierten Erfüllung meiner Chronistenpflicht wählte ich stattdessen einen Tisch auf der im klassischen Bistro-Stil
möblierten Empore
Ich hatte ein ruhiges Plätzchen, aber der genervte Service lange Wege. Das brachte mir zwar ein nettes Wiedersehen mit der Geschmacksschule von Jürgen Dollase aus dem gut gefüllten Bücherregal ein, aber leider auch das trockenste Brot seit der Service Gäste hasst. Ich wollte schon von Zumutung! poltern, als wohl versehentlich ein weiterer Brotkorb den Weg an meinen Tisch fand. Jetzt mit einem schön fluffigen, selbst gemachten hellen Brot
Viel besser, auch wenn ich noch mehr die kleinen Brötchen schätze, die hier z.B mit Curry oder Tomate kräftig aromatisiert werden. Auch sehr gut die aufgeschlagene Kräuterbutter im Geschmack einer Frankfurter Soße.
Schon das Amuse konnte voll überzeugen
In Panko knusprig ausgebackene Praline von Labskaus mit eindeutigen Pökelfleisch-Stückchen. Dazu statt der allzu bekannten roten Bete Portweinzwiebel und Weißweinschaum. Regionales neu interpretiert. Allenfalls etwas mehr Würzung wäre willkommen gewesen.
Ansprechendes aus der Karte war schnell gefunden:
Dreierlei von der Avocado (12,5€)
Crêmesuppe von der Zuckererbse (8,5€! s.u.)
Praline vom Maishähnchen (15,5€)
Schwarzfederhuhn „Berliner Art“ (23,5€)
Die Vorspeise war ein kühl anmutender Teller
Perfekt gegarter Rettich erhielt Salz und Umami durch einen intensiven Dashi von Bonitoflocken. Gurke brachte Frische und die exotische Butterfrucht natur, in geröstetem Sesam und als Öl verband dann doch alles mundschmeichelnd.
Sehr schnell folgte der nächste Gang und ich musste erfolgreich um etwas Entschleunigung bitten.
Maishähnchen in einer wirklich ungewöhnlichen Darreichung
Das häufig zu Trockenheit neigende Fleisch war mit Sahne zu einer saftigen Farce verarbeitet und nach der Art einer Weißwurst gekocht worden. Schließlich als große halbierte Parisienne angerichtet. Nicht schlecht, Herr Specht! Zumal sich der Geflügel-Geschmack trotz der Sahne klar zeigte. Der fluffige Schwamm, der Farbe nach wohl auch Huhn, dagegen eher neutral. Etwas zu dominant waren mir die Begleiter Rauch-Paprika und Oliventapenade, allerdings band auch hier eine Olivenöl-Emulsion die zu starken Aromen ein wenig ein. Insgesamt ein zwar leicht unausgewogener, aber doch überraschend kreativer Gang.
Weiter ging’s mit Kalbsbries, das ich hier immer sehr gern bestelle. Von wunderbarer Konsistenz und in Panko-Panade knusprig ausgebacken
diente der Klassiker als high-end-Einlage für eine am Tisch angegossene, kochend heiße Erbsensuppe
Klingt etwas grob, war es aber nicht. Crêmesuppe von der Zuckererbse klingt gleich besser. Ein wunderbarer Duft stieg mir in die Nase, so dass ich nach dem ersten Löffel fast etwas enttäuscht war. Dann entwickelte sich aber die Süße und etwas später das leicht pikante Minzpesto zur feinen Ergänzung des Kalbsbries. Sehr gut bis hin zur hübschen Dillblüte als Deko. 8,5€ für mich das Schnäppchen des Monats!
Der abschließende Hauptgang konnte dieses Niveau (fast) halten
Ein Klassiker hier intelligent interpretiert: Schwarzfederhuhn „Berliner Art“, also feines Kartoffelpüree, dazu eine Beurre Blanc, begleitet von einem angenehm frischen Kompott von Granny Smith, dessen gebackene Schale den Teller wuchtig mehr oder weniger zierte. Hervorragend die Süße der in Tempurateig ausgebackenen Zwiebelringe. Beim Hauptdarsteller Licht und Schatten, aber auf jeden Fall erneut eine kreative Leistung. Der ganze Hühnerschlegel war o.k., das Bruststück sehr saftig, meist ist es ja umgekehrt. Nur das ausgelöste Schenkelfleisch war weitgehend tot gebraten. Sehr schade, da mein Lieblingsstück. Der junge Chef nahm die Rückmeldung selbstkritisch an; was für ein angenehmer Gegensatz zum Oberkellner. Ein Kaffee aufs Haus wurde nicht erwartet, aber sofort angeboten.
Sieht man von den leichten Schwächen ab, ist absolut nachvollziehbar, dass der Feinschmecker das Topaz auch jüngst wieder in seine 500 Besten „für alle Tage“ aufgenommen hat. Und auch beim Gault Millau dürfte noch ein Pünktchen mehr möglich sein, wenn das Niveau gehalten und weiter fokussiert wird.