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Die Reaktion darauf überraschend: „Die Tester haben halt einen schlechten Tag erwischt/Die stören sich doch nur an fehlenden Tischdecken und einfachem Besteck/Wir kochen für Gäste, nicht für Kritiker/Der Laden ist voll, also sind wir auf dem richtigen Weg.“
Selbstkritik sieht anders aus. Aber vielleicht liegt es ja tatsächlich nur an den abgehobenen Ansprüchen.
Schaun mer mal, wie die üblichen Verdächtigen sich so schlagen...
V. Der Tabellenführer
Unter den Bremer Restaurants hatte Grashoff‘s Bistro am längsten am Stück einen Michelinstern, nämlich 25 Jahre. Warum dieser 2003 verloren ging, weiß ich nicht. Vielleicht wegen eines tragisch erzwungenen Wechsels in der Küche, vielleicht aber auch, weil sich Patron Jürgen D. Schmidt weigerte, seine klassische französische Bistroküche mehr als nur unwesentlich einer zeitgeistigen Kreativität zu opfern? Jedenfalls hat es den vielen (mit dem Grashoff deutlich gereiften) Stammgästen weiterhin gefallen. An einen der treuesten, sicher aber den bekanntesten darunter, Victor von Bülow, erinnern nicht nur zahlreiche Fotos und etliche Originalzeichnungen aus der Hand des durchaus auch zotigen Meisters
Nach seinem Tod stiftete die Familie Schmidt eine Knollennasen-Skulptur in typischer Ausstattung und Pose, vor allem aber in Lebensgröße. Diese dient nun unter mächtigen Kastanien auf einer Parkbank vis-a-vis der aufgebockten, beschatteten Terrasse als höchst beliebtes Fotomotiv. Dem großen Komiker hätte es wohl ebenso gefallen, wie die Benennung des Platzes nach seinem Künstlernamen und der Bronze-Abguss des ikonischen Sofas vor der örtlichen Sendeanstalt.
Dem Gault&Millau waren die Leistungen viele Jahre 16 Punkte wert, erst in der aktuellen Ausgabe ist das Grashoffs um einen Zähler zurückgefallen, denn die Tester waren von etwas zu eingefahrener Routine enttäuscht.
Grund genug, als Strohwitwer einen Abend zum eigenen, ausgiebigen Test zu nutzen.
Soviel vorweg: Es wurde ein durch und durch vergnüglicher Besuch.
Um 18.00 Uhr am Dienstag nach den beiden regelmäßigen Schließtagen war ich der erste Abendgast und hatte die freie Tischwahl. Ein Vierer-Tisch verbot sich schon angesichts der nur 22 Sitzplätze (plus ein paar Hochtischen im hinteren Bereich am Durchgang zum Feinkostbereich). Also wählte ich auf der dreiseitig durchlaufenden, knallroten Lederbank einen Platz, der von einer Seite ohne fremde Hilfe einzunehmen ist. Insofern erwähnenswert, als die Tische so dicht an dicht stehen, dass sie von den ausschließlich weiblichen Servicekräften à la parisienne aus der Reihe gezogen werden müssen, um einen Zugang zu ermöglichen. Gehört alles zum Zauber des Grashoffs, denn klassischer wird man auch in unserem Nachbarland schwerlich mehr ein Bistro(t) finden
Dementsprechend sind die Damen in einheitlicher Bluse und langer Kellnerschürze wie aus dem Ei gepellt, flink, professionell (nicht alle ausgebildet, aber durch viel Erfahrung gestählt) und durchaus mit dem Selbstbewusstsein der französischen Garçons ausgestattet. Einziger Tadel bei diesem, wie bei weiteren Besuchen war der fehlende Gourmetlöffel zu den wunderbaren Saucen. Da musste Gang für Gang neu gefragt werden, obwohl der Silberbesteckkasten doch alles bereit hält, was der Genießer so von Schnecke bis Hummer benötigt. Vielleicht hat man aber ja auch das Glück, dass sich Mit-Inhaber Oliver D. Schmidt zu einem Schwatz über die Küche nebst etlichen Probeschlucken nieder lässt. Dabei wirkt der gelernte Koch gemütlich, ist aber hellwach. Der fast im Vorübergehen ergänzte Soßenlöffel war da noch das Geringste. Ein kleiner Hinweis zu einer Unklarheit in der Karte wurde jedenfalls im nächsten Monat umgesetzt. Patronne Elke Schmidt hilft zwar gelegentlich im Service, läuft aber als ausgebildete Sommelière (und Fleischermeisterin!) bei der Weinberatung ebenso zur Höchstform auf, wie bei der charmanten Bespaßung einzelner hungriger Herren.
Gegen den Durst gab es ein Gläschen Cidre (3,5€), gefolgt von einem weißen Port, der mit Eis und - wie erfreulich - Zitronenschale
für 5,5€ serviert wurde. Dazu zauberte meine Gastgeberin Mandeln
auf den Tisch, denn mir stand der Sinn nach salzigen Kleinigkeiten. So fanden sich dann noch Jahrgangs-Sardinen und mit Wildfenchel eingelegte grüne Oliven wieder. Wie schön, wenn man aus dem Fundus des seit 1874 existierenden Feinkostgeschäft wählen kann. (In dem auch noch klassischer Einkaufsservice herrscht: Man wird von der nächsten freien Kraft empfangen, zu den verschiedenen Bereichen begleitet und zahlt schließlich bei Frau Schmidt an der großen alten Registrierkasse den nie allzu kleinen Betrag, während die kulinarischen Schätze verpackt und an der Tür überreicht werden. Das nenn ich Shopping-Begleitung!). Das gesamte Ensemble
wurde mit freundlichen 9,95€ berechnet, aufs Haus gab es eine intensive Tomaten-Frischkäse-Zubereitung, dazu ein für den Abend überraschend frisches fluffiges Ciabtta und knackiges Pan Carasau. Kein weiteres Amuse.
Ein Menü wird in der (zu) schnell gereichten Karte nicht angeboten, für den angepeilten Überblick wählte ich daher etwas umfassender:
Sommerlich marinierter Thunfisch 18,5€
Suppe von der Charantaiser Melone mit Parmaschinken 11,5€
Bretonische Artischocke mit Moutarde de Meaux-Sauce 15,5€
Mit Garnelenmousse gefüllter Artischockenboden 23,5€
Pochiertes Kalbsfilet mit Erbsen 32,5€
Gratinierter Picandou 11€
Aus der Weinkarte entschied ich mich wagemutig für einen 2013 Chardonnay aus dem schon vom Atlantik geprägten Navarra
(Wer mag: Einzellage Granja de Legardeta), der dekantiert nur eine eher mild ausgeprägte Holznote mitbrachte. Im Glas machten sich schnell die 13% Alkohol bemerkbar, aber ich arbeitete der zu langen Erwärmung wacker entgegen. Der Preis von 69,5€ gehört schon zu den höheren hier, sieht man einmal von den Raritäten ab. Beginnend bei 19,5€ wird erfreulich viel um die 30€ angeboten; gute Qualitäten, wohlgemerkt. Bei Grashoff scheint der Wein nicht zu niedrig angesetzte Speisenpreise ausgleichen zu müssen.
Der rohe Thunfisch stand im Mittelpunkt des ersten Tellers
Schön fest wurde das Fleisch von den weiteren Produkten nicht zugedeckt, die alle trotzdem nach und nach geschmacklich aufblitzten: Holunderblüte, nicht zu massiv eingesetzter Ingwer, Koriander, vielleicht etwas Buttermilch. Die asiatische Richtung passte gut und war nicht überbetont. Nur die Menge an knackigem Lauchgrün war für meinen Geschmack überzogen, aber das konnte man ja selbst steuern. Ein leichter, frischer Aufgalopp.
Sommerlich ging es mit der fruchtigen Suppe weiter, die kalt, aber nicht geeist war. Ein Kollege liebt es, auf Eiskristallen zu beißen; ich mag es gar nicht. Das Aroma der Charantais-Melone war vorzüglich eingefangen. Einen Kontrast setzten die reichlich vorhandenen, knusprigen Streifen von Parmaschinken
Trotzdem war mir das Ganze einen Tick zu süß. Etwas Schärfe oder ein herberes Kräutlein hätten nicht geschadet. Aber das ist jetzt rein persönlicher Geschmack, die Suppe war schon sehr gut, geradlinig halt.
Dazu gab es passender Weise einen eisgekühlten Pineau des Charentes (4,5€) der sich erst traubig einfügte, aber im Abgang noch etwas bissig wurde. Ich liebe Gespritete!
Auch der folgende Gang ein Klassiker. Die gekochte bretonische Artischocke war 1a
Blättchen für Blättchen konnte ich zusammen mit der vorzüglich gelungenen, zwischen Säure und Schärfe changierenden groben Senfsauce ablutschen (Ist doch so!), um mich schließlich über den köstlichen Boden herzumachen.
Einfach und doch genial. Die feine Distel steht in Deutschland viel zu selten auf der Karte.
Ganz bewusst hatte ich daher auch den nächsten Gang gewählt.
Ein beeindruckend großer und dicker Artischocken-Boden, perfekt gegart, war in einen Spiegel einer intensiven Sauce Armoricaine gesetzt, der frischer Majoran eine zusätzliche herbe Note verlieh. Das war mutig gewürzt, aber nicht einen Tick zu viel. Krone des Ganzen eine geschmacklich eindeutige Garnelenmousse, im Ofen locker gebacken und für eine leichte Röstnote überflämmt.
Geschmack, Handwerk, Optik: Ein perfekter Teller!
Beim Hauptgang konnte das klassisch pochierte, unglaublich zarte und saftige Kalbsfilet dieses Niveau ebenso halten, wie die schaumige, wunderbar ausbalancierte Béarnaise, die reichlich und doch nur so gerade auskömmlich ;-) den Teller bedeckte
Die gesondert gereichten Beilagen
fielen etwas ab. Kleine Erbsen (mit feinen Schalottenwürfeln) nicht mehr taufrisch, sondern schon etwas eingeschrumpelt (Dieses Manko war bei einem Folgebesuch nicht mehr vorhanden.) Auch das Erbs-Kartoffel-Püree war ein wenig schwer geraten. Gefallen hat mir dagegen das Kräuterbouquet mit Kerbel und Estragon, quasi ein „Muss“ zum Kalb. Erneut ein klassischer Teller mit fantastischem Fleisch und kleinen Schwächen.
Den Abschluss bildete - weil ich Käsezubereitungen ja eh nicht widerstehen kann - gratinierter Picandou auf knusprig geröstetem Landbrot
Der Ziegenkäse konnte sorgfältig erwärmt gefallen, nur die Röstung war mir etwas schmalbrüstig ausgefallen. Auch beim Thymian hätte ich mir den Mut früherer Gänge gewünscht, zumal erneut knuspriger Parmaschinken überzeugte. Trotzdem ein angenehmer, nicht eben leichter Abschluss, der durch den begleitenden Wein nochmals verbessert wurde. Da ich den vorgesehenen Pineau schon genossen hatte, wurde ein überraschend vielschichtiger Ruster Ausbruch geöffnet. Der Turner von Heidi Schröck wird aus 100% Furmint-Trauben gewonnen, die etwas Botrytis hatten. Nett, dass auf dem Etikett gleich Empfehlungen für begleitende Speisen verzeichnet sind
Bei angeregten Gastro-Gesprächen mit den Inhabern leerte sich das Fläschchen schnell; davon fand nur ein Glas den Weg auf meine Rechnung. Dafür herzlichen Dank!
Fazit:
Grashoff‘s Bistro liefert auch nach inzwischen 40 Jahren eine ambitionierte Bistro-Küche, die sich durch große Verlässlichkeit, aber auch durch eine mutige Handschrift bei Kräutern und Gewürzen auszeichnet. Zusammen mit dem köstlichen Ambiente und professionellem Service eine ganz sichere Bank. Wer kulinarische Neuentdeckungen machen möchte, ist hier falsch. Wer aber in ein ganz langes Mmmmmmmh! abtauchen möchte, dem seien der Hummer auf hausgemachten Nudeln ebenso empfohlen, wie die Chitarre-Spaghetti in Trüffelrahmsauce! Gourmetlöffel nicht vergessen...